August 2014 – 1914: Mitten in Europa

Zur Zeche Zollverein “De(m) Eiffelturm des Ruhrgebiets” – so eine Aufschrift auf einem Informationsschild auf dem Museumsgelände – führte uns unsere Exkursion anlässlich des diesjährigen Rencontre estivale. Und der angeführte Vergleich ist keineswegs übertrieben, gehört doch das Zollverein-Areal im Essener Norden mit der Zeche Zollverein Schacht XII, der Kokerei Zollverein sowie der Schachtanlage 1/2/8 zu den bedeutendsten und imposantesten Industriedenkmälern Europas. Seit Dezember 2001 zählt es zum Weltkulturerbe der UNESCO. Die Schachtanlage mit ihrer eindrucksvollen Silhouette, die aus ihrer dem Bauhausstil verpflichteten Gesamtkonzeption herrührt, ist ein Meilenstein innerhalb der Industriearchitekur des 20.Jahrhunderts. Seit 1989 bietet das Gelände Kunst, Kultur und Design großzügigen Entfaltungsraum, all dies eingebettet in eine die stillgelegte Industrieanlage umwuchernde Flora.

Als eine der Aktivitäten, mit der die Deutsch-Französische Gesellschaft Bielefeld zum Gedenken an den hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs beitragen wollte, besuchten zahlreiche ihrer Mitglieder dort die kulturhistorische Themenausstellung 2014 – Mitten in Europa. Diese steht im Kontext eines großen Verbundprojekts, mit dem der Landschaftsverband Rheinland (LVR) an den Ersten Weltkrieg erinnert: die ihm vorausgehenden, ihn begleitenden und ihm nachfolgenden Ereignisse auf kultureller, ökonomischer, technischer, sozialer, politischer und nicht zuletzt individueller Ebene.

Das Ausstellungsprojekt beinhaltet Voraussetzungen, Geschehnisse und Folgen des Ersten Weltkriegs und beabsichtigt damit, Anregung zu geben hinsichtlich eines gemeinsamen Erinnerns im europäischen Kontext.

Die Kriegserfahrung verband die Kriegsgeneration selbst wie auch die ihr nachfolgenden, sich daran erinnernden Generationen diesseits und jenseits der Fronten bzw. Grenzen. In der kollektiven Erinnerungskultur wurde diese “Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts” von Britten, Franzosen, Belgiern und Deutschen in Abhängigkeit vom jeweiligen Kriegs- und Kriegsausgangserleben unterschiedlich benannt: The Great War, La Grande Guerre, De Groote Oorlog, Der Erste Weltkrieg.

Was Frankreich und Deutschland im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Erinnerungskultur im Speziellen betrifft, so setzte die französische Armee z.B. in Verdun fast alle ihre Divisionen in einem Rotationssystem ein, während auf deutscher Seite fast immer dieselben Einheiten im Feld blieben. Dies kann als einer der vielen Gründe dafür gesehen werden, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich bis heute viel stärker ist als in Deutschland. Ein weiterer ist, dass die Westfront auf französischem Gebiet verlief und dort tiefe Wunden hinterließ. Insbesondere aber hält Frankreich das Gedenken bewusst wach – so mit einem Feiertag zum Waffenstillstand 1918 wie auch durch obligatorische Klassenfahrten nach Verdun.

Trat in Deutschland für die jüngere Generation das Deutungspotential des Ersten Weltkriegs durch die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen in den Hintergrund, so rückt nun im Jahre 2014 im Rahmen der europäischen Völkerverständigung auch in Deutschland der Erste Weltkrieg wieder verstärkt in die kollektive Erinnerung und Erinnerungskultur.
Dazu trägt die von uns besuchte Ausstellung in hohem Grade informativ und auch emotional tief berührend bei.

So zeigt sie u.a., mit welcher Kraft der Erste Weltkrieg in die damals größte Industrieregion Europas einschlug. Vor 1914 war die Rhein-Ruhr-Region das Zentrum signifikanter ökonomischer und technischer Fortschritte; Bevölkerungswachstum und Prosperität in vielen Bereichen zeichnete sie aus. Die Modernisierung und die Umfunktionalisierung ihrer positiven Errungenschaften durch Unterordnung unter kriegsorientierte Ziele überlagerten sich.

Zahlreiche der über 2500 Ausstellungsexponate zeigen auf über 2500 Quadratmetern diesen kriegsbedingten “Missbrauch”, u.a. in der Chemie-, Nahrungsmittel und Schwerindustrie, aber auch in der Medizindiagnostik. In den angeführten Links zu der Ausstellung selbst lässt sich vieles visuell eindrucksvoll nachvollziehen:

Vorort werden auf drei Ebenen, die sich ästhetisch voneinander unterscheiden und vertikal angeordnet sind, die Exponate dargeboten: Zuerst fuhren wir mit einer Standseilbahn hoch in die oberste Etage und betrachteten vor dem Hintergrund der Ruhrgebietssilhouette das Zechenareal. Die Chronologie der Ausstellungsanordnung folgt der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit. Oben in der Mischanlage der Kokerei Zollverein werden Utopien und Dystopien, d.h. positive und negative Zukunftsvisionen der Jahrhundertwende ebenso vorgestellt wie die widersprüchliche Moderne des Deutschen Kaiserreichs mit ihren umwälzenden Entdeckungen, z.B. auf medizinischem und diagnostischem, ernährungsphysiologischem und industriellem Gebiet. Dramaturgischer Mittelpunkt der Ausstellung ist die mittlere der Kriegszeit selbst gewidmete Etage. In den monumentalen, klaustrophobisch wirkenden ehemaligen Kohlebunkern wurden wir mit den Grausamkeiten dieses ersten industrialisiert geführten Krieges selbst wie auch mit seinen Auswirkungen auf die Heimatfront konfrontiert. In den darunter liegenden Kohletrichtern präsentiert sich uns schließlich die radikal moderne, gleichwohl gewaltbedrohte Nachkriegszeit, abgeschlossen mit einem Blick auf die sich anbahnenden Verhängnisse der NS-Zeit.

Im Rahmen der Bedeutung der Erinnerung an den “Ersten Weltkrieg”, die “Grande Guerre2, will die Verfasserin des vorliegenden Exkursionsberichts weiter unten einige Links für diejenigen anführen, die sich intensiver mit dem Krieg, seinen Bedingungen und Folgen, befassen wollen, wobei der überwiegende Teil der “Sites” in französischer Sprache gehalten ist.

Der nun folgende inhaltliche Wechsel fällt schwer, sollte aber nicht unter den Tisch fallen, da er auch nicht unwesentlich zu der gelungenen Exkursion beitrug.

Zur Mittagszeit kehrten wir in das “FünfMädelHaus” ein, eine urige “Ruhrpott”-Gaststätte, die der Vorstellung, die ein Ostwestfale vom “Kumpel”-Flair hat, vollauf genügte.
Mit Kohlebrot, Schaschlik und Currywurst und vielerlei weiteren Ruhrgebietsspezialitäten wurde der Hunger gestillt.

Der Nachmittag stand zur freien Verfügung: sei es eine Besichtigung des Essener Domes und seiner Domschatzkammer, der Besichtigung der Shopping-Meile der Essener Innenstadt oder auch nur ein Getränk in einem der zahlreichen Straßencafés.

Weiterführendes Informationsmaterial:

Ein Exkursionsbericht von Dr. Barbara Kling