Die Rolle der französischen Sprache und Kultur in Rumänien

Im Kontext der bereits besprochenen Ausstellung Rumänien – Ein Jahrhundert LandLeben – (siehe unten) hielt Dr. Anneli Ute Gabanyi am 03.02.2015 auf Anregung der Deutsch-Französischen Gesellschaft Bielefeld e.V. einen ebenso kenntnisreichen wie lebhaften Vortrag mit dem Thema Bukarest – Paris des Ostens. Durch das Engagement von Dr. Klaus Netzer gelang es der DFG, eine so hochkarätige Wissenschaftlerin wie Frau Dr. Gabanyi in Bielefeld zu begrüßen zu können.

Frau Dr. Gabanyi stellte das Thema ihres Vortrages als ein europäisches vor: “Gerade in unserer Zeit der (wieder einmal) neu aufflammenden nationalen Egoismen in Europa, (…) ist es auf unserem Kontinent eminent wichtig, das Verständnis füreinander und den gegenseitigen Respekt der europäischen Völker zu wecken, die historisch und kulturell so vieles verbindet. Es ist ja gerade diese Einheit in der Vielfalt, die unser Europa so einzigartig in der Welt gemacht hat.”

Bevor ich auf den Vortrag eingehen werde, seien an dieser Stelle neben einigen Hintergrundinformationen zu der engen Verbindung zwischen Rumänien und Frankreich auch einige Anmerkungen zur Frankophonie in Rumänien angeführt, die ich dem am 19.09.2006 veröffentlichten politischen Kurzbericht von Günther Dill, Maria Vasiu und Georgeta Voinea Rumänien vor dem Frankophonie-Gipfel entnommen habe, welcher für die Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung Bukarest verfasst wurde:

Rumänien gehört seit 1991 zur internationalen Frankophonie-Bewegung, seit 1993 als Vollmitglied. So wurde in Rumänien auch das Jahr 2006 als Jahr der Frankophonie gefeiert und auch der Frankophonie-Gipfel vom 25.- 29. September 2006 mit zahlreichen Veranstaltungen fand in Bukarest statt.

Einige statistische Fakten aus dem oben angeführten Bericht seien im Folgenden zitiert:

  • 14000 Lehrer unterrichten Französisch für knapp 2 Millionen Schüler (d.h. 88% der rumänischen Schüler lernen Französisch als Fremdsprache)
  • landesweit gibt es 70 zweisprachige rumänisch-französische Schulen
  • auf universitärem Niveau werden 40.000 Studenten in Französisch geschult durch frankophone Institutionen, auch durch universitäre Einrichtungen von Mitgliedsländern

Darüber hinaus ist in Rumänien der französische Einfluss auch in anderen Bereichen sehr beachtlich:

  • die erste rumänische Verfassung von 1866 orientierte sich an der belgischen Verfassung von 1831, die stark vom französischen Konstitutionalismus beeinflusst war
  • noch während des letzten Jahrhunderts war der Gebrauch des Französischen in den rumänischen Verwaltungen verbreitet
  • das Wahlsystem war bis zur Zwischenkriegszeit von Belgien beinflusst
  • auch die Modernisierung des politischen und administrativen Systems in Rumänien ist stark von Frankreich beeinflusst
  • die intellektuellen Eliten sind von Frankreich geprägt worden
  • das rumänische Zivilgesetzuch von 1923 hatte den französischen Code Napoléon zum Vorbild
  • in kultureller, wissenschaftlicher und technischer Hinsicht hat sich die Kooperation zwischen Rumänien und Frankreich in den vergangenen Jahren intensiviert, ebenso die Wirtschaftsbeziehungen, hier rangiert Frankreich als viertwichtigster Partner Rumäniens

Ich möchte mich bei der folgenden selektiven Wiedergabe einiger Aussagen aus dem Vortrag von Frau Dr. Gabanyi auf die Punkte beschränken, die mit der Interaktion zwischen Rumänien und Frankreich zu tun haben. Zum besseren Verständnis einiger historischer Begriffe werde ich anhand von Internet-Quellen Erklärungen heranziehen.

Gleich zu Beginn stellte die Referentin die Baugeschichte des Bukarester Triumphbogens Arcul de Triumf vor, bildliches Symbol für die französisch-rumänischen interkulterellen Beziehungen und Replique des in Paris errichteten Arc de Triomphe. Für die rumänische Hauptstadt, das “Paris des Ostens”, wurde er, der “kleinere Bruder der französischen Arc de Triomphe” zur Erinnerung an den Sieg der Rumänen im Ersten Weltkrieg konzipiert und nach einer langen Baugeschichte 1936 in Gegenwart der königlichen Familie eingeweiht. Finanziert wurde er ausschließlich mit Spendengeldern der Bevölkerung. Der Architekt Petre Antonescu, der in Paris studiert hatte, entwarf das riesige Bauwerk nach klassisch-römischer Art. Zum rumänischen Nationalfeiertag am 1. Dezember 1936 wurde er eingeweiht, genau 100 Jahre nach der Einweihung des Originals in Paris.

Im Anschluss daran stellte Frau Dr. Gabanyi eine notwendigerweise summarische Analyse des Charakters und der Wirkungsweise des französischen Einflusses in Rumänien vor. Nach dem rumänischen Literatur- und Mentalitätsforscher Pompiliu Eliade sei dies ein absoluter Sonderfall in der Geschichte der Interaktion zwischen zwei europäischen Völkern. Zum einen, so Eliade, handle es sich um eine Interaktion, die zwischen zwei geographisch entfernten Ländern stattgefunden habe, zum anderen handle es sich nicht um eine Interaktion zwischen einem siegreichen und einem besiegten und besetzten Land.

Der französische Einfluss konzentrierte sich auf die rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei, findet sich jedoch nicht in dem zum Habsburgerreich gehörenden Siebenbürgen.

“In den Donaufürstentümern hingegen – und dies ist eine weitere historisch bedingte Besonderheit – nahm der französische Einfluss erst einmal den Umweg über Griechen und Russen.” (Zitat Gabanyi)

Der rasante Modernisierungsprozess in allen kulturellen Gebieten ist nach Gabanyi ohne den französischen Einfluss undenkbar. Das Französische war in der Kulturgeschichte Rumäniens während großer Zeiträume die diplomatische Lingua franca.

Die Fürstentümer Moldau und Walachei hatten sich ihre innere Selbstständigkeit gegenüber den Osmanen bewahren können. Die Unzuverlässigkeit der lokalen Fürsten veranlasste die Osmanen, – in der Moldau ab 1711 und in der Walachei ab 1716 -, griechische Adlige, die Phanarioten, in statthalterischer Funktion auf den Fürstenthron zu setzen. Sie waren nicht nur exzellente Sprecher des Französischen als der damaligen lingua franca, sondern auch Kenner und Bewunderer der französischen Kultur.

“Ihnen ist es zu verdanken, dass die französische Sprache und Kultur und nicht zuletzt auch das Gedankengut der Aufklärung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in den Fürstentümern Verbreitung fanden.” (Zitat Gabanyi)

Unter Phanarioten (griechisch Φαναριώτες) versteht man, insbesondere in den Ländern des ehemaligen Osmanischen Reichs auf dem Balkan, einen kleinen Kreis wohlhabender und politisch einflussreicher griechischstämmiger byzantinischer Adelsfamilien, die im Osmanischen Reich des 17./18. Jahrhunderts die Oberschicht in Phanar, einem Stadtteil Konstantinopels, bildeten. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 zog die Oberschicht der griechischen Bevölkerung in das Viertel Phaner. Vor allem griechische Kaufleute und Priester ließen sich im äußersten Nordwesten des späteren Istanbuls nieder. Bei den Osmanen hatten diese Griechen bis zum griechischen Unabhängigkeitskrieg (1821 -1829) den Ruf, besonders loyale nichtmuslimische Untertanen zu sein. Die Phanariotenherrschaft endete im Jahre 1821. Während auch nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Republik Türkei 1923 noch zahlreiche Griechen in Istanbul lebten, setzte nach dem sogenannten “Pogrom von Istanbul” am 7. September 1955 ein massiver Exodus ein.

Ihre soziale Akzeptanz wie auch die Möglichkeit zum Aufstieg in höchste Positionen im osmanischen Verwaltungsdienst verdankten die Phanarioten in erster Linie dem ungeheuren Reichtum, den ihre Vorfahren als Händler im 17. Jahrhundert angehäuft hatten. Sie dienten nun der osmanischen Regierung und ihren Botschaftern als Dragomane (Dolmetscher). Diese ihre Funktion sowie die darauf gründende Entsendung in die Fürstentümer resultierte daraus, dass ein Vers des Korans den Osmanen verbot, sich mit den Ungläubigen in deren Sprache zu unterhalten. Folglich brauchte man Übersetzer. In der Zeit von 1711 bis 1821, die als phanariotische Periode in die Geschichte Rumäniens eingegangen ist, regierten sie als vom Sultan eingesetzte Hospodare (altslawisch gospodi: Herr) die Donaufürstentümer und die osmanischen Vasallenstaaten Moldau und Walachei, denen sie folgerichtig in kultureller Hinsicht nachhaltig den Stempel der an Frankreich orientierten Elite aufdrückten, da ihr Bildungsideal in der französischen Kultur verankert war.

Die Phanariotenherrschaft wird negativ bewertet, da die Phanarioten sehr raffgierig waren, daraus resultierend, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend war. Das Gedankengut der Aufklärung war in den Fürstentümern sehr verbreitet, die Schriften Voltaires waren in einem solchen Maße bekannt, dass der orthodoxe Patriarch sie verbot. Die griechischen Statthalter ließen ihre Kinder in Frankreich studieren und brachten in ihrem Gefolge französische Pädagogen, Sekretäre, Ärzte und sogar Köche nach Bukarest und Jassy. Die französische Mode wurde von ihren begüterten rumänischen Untertanen nach Kräften imitiert. Diese schickten ihre Söhne ebenfalls zum Studium nach Paris, wo sie neben der französischen Sprache auch die französische Lebensart und Mode kennenlernten und nach ihrer Rückkehr auch in den Fürstentümern verbreiteten. Es entstanden infolgedessen Konflikte mit der Generation der konservativen Eltern, denn die Heimkehrer versuchten, jenen zu vermitteln , wie man einen fortschrittlichen Lebensstil führt. So wurden sie denn auch verächtlich, in Ableitung von dem französischen ‘Bonjour’ bonjuristi genannt. Unter den Rückkehrern waren auch viele Rechtsgelehrte, die begannen, die Gesellschaft und das Rechtsystem umzukrempeln. 1821 wurden die Phanarioten schließlich vertrieben. Um 1830 war die Aneignung des Französischen in den Fürstentümern Moldau und Walachei nicht nur quantitativ verbreitet, sondern auch in einem so starken Maße mental verinnerlicht, dass ein eingereister Franzose beim Besuch eines Salons vergessen konnte, dass er sich in einem fremden Land befand. Natürlich gab aber es auch massive Kritik an der übertriebenen sprachlichen und stilistischen Mimikry durch die gebildeten Rumänen, die sich in Werken vor allem der dramatischen Literatur in karrikaturhafter Verzerrung der sogenannten frantuziti, der Französisierten, Bahn brach.

Als zweiten Kanal, der die Verbreitung der französischen Sprache, Kultur und des savoir vivre in Rumänien beförderte, nannte die Referentinder den Lebensstil der adligen, gebildeten, ebenfalls frankophilen Offiziere der russischen Besatzungsarmee, deren Besatzungszeit insgesamt sechs Jahre dauerte. Seit dem Frieden von Küçük Kaynarca (1774) zwischen dem Osmanischen Reich und Russland gerieten die Donaufürstentümer, denen ab 1822 wieder einheimische Fürsten vorstanden, zunehmend unter russischen Einfluss und wurden von Russland von 1828 bis 1834 besetzt. Die russische Niederlage im Krimkrieg (1853/54 – 1856) beendete dann den russischen Einfluss. Die russischen Offiziere und Adligen regten durch ihren französisch geprägten Lebensstil in den Salons eine weitere Nachahmung der französischen Lebensart an.

“Für die jungen Moldauer und Walachen, die es in immer größeren Scharen zum Studium nach Paris zog, so der Mentalitätsforscher Lucian Boia, bedeutete das Französische bald mehr als eine Sprache der Kommunikation und der Kultur: vielen von ihnen sollten durch das Französische ‘eine neue Seele’ finden.” (Zitat Gabanyi)

In der ersten Hälfte des Hälfte des 19. Jahrhunderts musste sich die rumänische Sprache entsprechend dem kulturellen und gesellschaftlichen Fortschritt erneuern. Dies vollzog sich durch die Einführung einer Vielzahl von neuen Begriffsschöpfungen, Nachbildungen und Lehnübersetzungen. Die sprachliche Modernisierung fand in der Moldau und der Walachei durch eine massive Übernahme bzw. Angleichung französischer Ausdrücke statt, die in die Sprache der gehobenen Schichten Eingang fanden.

Die Referentin weist darauf hin, dass vor dem Einbruch des Englischen der Anteil französischer Übernahmen im Rumänischen bei 40% des Wortschatzes betrug; deren Frequenz betrug 20%, natürlich vor allem im intellektuellen Diskurs.

In der zweiten Hälfte des 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert waren es im Bereich der Literatur vor allem die modernen französischen Lyriker wie Verlaine, Baudelaire und Mallarmé und der französische Schriftsteller André Gide, die die rumänischen Schriftsteller zur Schaffung von Meisterwerken anregten.

Frau Dr. Gabanyi nannte die Sprachbegabtheit der Rumänen als Grund für deren Anpassungsfähigkeit. Die Grenzlage des Landes zwischen Okzident und Orient, die zahlreichen dort lebenden ethnischen und religiösen Minderheiten und auch die ausgeprägten geographischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Kulturlandschaftenspielen spielen diesbezüglich eine bedeutende Rolle und erlaubten – und erlauben – den gebildeten Rumänen einen leichteren Zugang zu Fremsprachen wie Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch oder auch Portugiesisch.

Im Weiteren unterbreitete Gabanyi Ausführungen dazu, dass es neben der “notorischen Liebesbeziehung zwischen den beiden Nationen”, auch einen zweiten, höchst fruchtbaren Austausch Rumäniens mit Deutschland gegeben habe, “…also quasi eine “Dreierbeziehung”, durch deren Zusammenwirken das moderne Rumänien erst entstanden ist.”

Auf den kulturellen Einfluss von Deutschland auf Rumänien werde ich an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingehen.

Insgesamt war dieser Vortrag eine große intellektuelle Bereicherung für die anwesenden ZuhörerInnen. Mir selbst war vorher nicht bewusst, wie intensiv der französische Einfluss in der rumänischen Geschichte war und ist und auf welchen Wegen er sich verbreitete.

Am nächsten Morgen trafen sich VertreterInnen der DFG mit Frau Dr. Gabanyi zu einem Gedankenausstausch bei einem gemeinsamen Frühstück im Bielefelder Kachelhaus. Hier verlieh ihr Dr. Bernhard Kuhtz – in humoristischer Anspielung auf die Orden, die Frau Gabanyi vom rumänischen Staat bereits erhalten hat – einen kleinen Deutsch-Französischen Freundschaftspin. Die DFG würde sich sehr freuen, die hochkarätige Politikwissenschaftlerin und Publizistin in Zukunft wieder einmal in Bielefeld begrüßen zu dürfen.

(Text und Bilder: Dr. Barbara Kling)