Rumänien – Ein Jahrhundert LandLeben

Am Sonntag, 01.02.2015, fand die Vernissage zu der Ausstellung Rumänien – ein Jahrhundert LandLeben im Bielefelder BauernhausMuseum statt. Gezeigt werden hier bis zum 10.03.2015 Fotografien von Jürgen Graetz und Huib Rutten sowie Bilder von Peter August Böckstiegel. Hinzu kommen detailliert kommentierte Abschriften von Briefen, die der westfälische Maler an seine spätere Ehefrau Hanna während seiner Stationierung in der rumänischen Stadt Târgoviște in den Kriegsjahren 1917/18 schrieb. Der Künstler war Anfang 1915 als Landsturmmann zum Kriegsdienst eingezogen worden. Nach Stationen in Russland wurde er 1917 bis 1918 in Rumänien und schließlich in der Ukraine eingesetzt. Während des Krieges setzte er – soweit es ihm unter diesen Bedingungen möglich war – sein künstlerisches Schaffen fort: so stehen Szenen aus seiner vom Soldatenleben geprägten unmittelbaren Umgebung neben Darstellungen, die das ländliche Leben der Bevölkerung künstlerisch zum Ausdruck bringen. Die Ausstellungsvorbereitungen haben vier Monate gedauert; die Idee dazu entstand im Freundeskreis der an ihrer Umsetzung Beteiligten, und sie wurde von ihnen mit viel Engagement zum Ende gebracht, ein Engagement, das sich in der gut durchdachten, ansprechenden Präsentation der Exponate widerspiegelt.

Freundlich unterstützt wurde das Projekt von der Deutsch-Französischen Gesellschaft Bielefeld e.V., dem Frankreich-Zentrum Bielefeld sowie der VHS Bielefeld.

Mehrere Abendveranstaltungen mit Vorträgen zum Thema “Von der Romania bis Europa” werden die Ausstellung begleiten. Das Ziel der Vortragsreihe ist u.a., ein differenzierteres Bild, als wir es im Allgemeinen haben, von Rumänien als “Kulturraum der Romania” in Europa zu vermitteln . (Informationen zur Vortragsreihe s.o.)

Dr. Lutz Volmer, Leiter des BauernhausMuseums, eröffnete die Ausstellung und Prof. Dr. Andreas Beaugrand von der Fachhochschule Bielefeld führte thematisch in sie ein.

Rumänien ist seit 2007 EUMitglied. Insbesondere die Landbevölkerung leidet nach wie vor unter großer Not. Obwohl inzwischen in einigen Regionen des Landes exportorientierte Industriebranchen Wohlstand für hochqualifizierte Arbeitskräfte bringen, nehmen sehr viele Rumänen an diesem Aufschwung nicht teil. Besonders dramatisch ist die Situation für die Landbevölkerung, von der ein Großteil in bitterer Armut lebt. Heute leben über vierzig Prozent der Rumänen unterhalb der Armutsgrenze. So gibt es in den Dörfern meist keinerlei medizinische Versorgung; Medikamente sind für den größten Teil der Bevölkerung unerschwinglich. Es mangelt z. B. an sanitären Einrichtungen und fließendem Wasser. Strom und Gas, wenn überhaupt vorhanden, sind nicht bezahlbar. Zudem stellt das “Land-Grabbing” ein großes Problem dar.

Hintergrundinformationen zu Rumänien sind z.B. unter folgenden Verlinkungen zu finden: Bundeszentrale für politische BildungBayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunstfocus MIGRATIONDr. Anneli U. GabanyiDie rumänische Revolution von 1989 (PDF Download).

Die in der Ausstellung präsentierten Bilder von Jochen Graetz und Huib Ruitten, von Graetz 1983 und von Ruitten 2014 während einer Rumänienreise aufgenommen, stellen die rumänische Landbevölkerung sensibel dar.

Beide Fotografen haben Grenzen überschritten, um Teile eines Landes zu bereisen, die in den frühen 80er Jahren ebenso wie heute noch von wirtschaftlicher Entwicklung abgeschnitten sind und in denen auch Menschen leben, die keinerlei freiheitliche Grundrechte genießen können, die Sinti und Roma. Beide Fotografen standen vor einer Sprachbarriere: damals wie heute sprachen die Menschen keine einem Westeuropäer vertraute Sprache, vielleicht etwas Französisch. Besonders an den Fotografien ist nun, dass es den Fotografen – als Fremde in einem Land – gelungen ist, Bilder zu erzeugen, die Freundlichkeit, Offenheit, Sympathie, vielleicht gar Stolz darauf, fotografiert zu werden, ausstrahlen. Dieses Gelingen gründet auf der „Wesenhaftigkeit des Fotografen selbst“, so Prof. Dr. Andreas Beaugrand in seiner Einführung. In Abgrenzung von jeglichem vergegenständlichenden Voyeurismus ist in allen Bildern eine Vertrautheit sichtbar: die Menschen scheinen mit dem Fotografen eins.

Die schwarz-weiß Fotografien von Graetz sind ebenso wie die Farbfotografien von Rutten Dokumentarfotografie und Sozialfotografie in einem. Die Kunst der Fotografie im Allgemeinen bestehe gerade darin, wie Beaugrand in seiner Einführung betont, sich als Fotograf mit der Kamera unsichtbar zu machen: man wisse, dass die Kamera da sei, man spüre sie aber nicht. Diese Kunst ist auch Jochen Graetz und Huib Ruitten mit ihren sensiblen Zeichnungen der Bilder gelungen, die ausnahmslos anteilnehmendes Interesse an den sozialen und kulturellen Gegenheiten der rumänischen Landbevölkerung zeigen.

Die folgenden Informationen zu den Künstlern sind zum großen Teil den Beschriftungen aus der Ausstellung entnommen:

Jürgen Graetz stammt aus Neuglobsow (Brandenburg) und arbeitet seit 1976 freiberuflich als Fotograf. Einen inhaltlichen Schwerpunkt seiner dokumentarischen Arbeit stellt der Mensch dar: seine Prägungen, sein Einwirken auf und sein Eingebettetsein in seine Umwelt. Es sind häufig die vermeintlich Schwachen und Ausgegrenzten, denen er ein Gesicht gibt. Die Annäherung an sie ist stets respektvoll, die Lebensumstände der Fotografierten werden nicht kommentiert, sodass sich der Betrachter der Fotografien sein eigenes Bild machen kann. Jürgen Graetz’ Rumänienbilder entstanden 1983 während einer Reise mit seiner Familie durch das Land und bilden überwiegend das Leben der Landbevölkerung ab. Graetz bewahrt Distanz und lässt den aufgenommenen Menschen ihre Würde.

Huib Rutten kommt aus Rotterdam. Seit 1986 arbeitet er als selbstständiger Fotograf im Bereich Dokumentarfotografie. Er will in der Fotografie nichts inszenieren. Seine Fotos im Nachhinein nicht zu bearbeiten, ist Teil seines Selbstverständnisses als Fotograf.

“Die Suche nach einem Moment, in dem im Hinblick auf Komposition und Geschichte des Bildes einfach alles passt, prägte auch seine Arbeit während der Reisen nach Rumänien im Jahr 2014.” (Zitat aus der Ausstellung)

Ursprünglich reiste Rutten nach Rumänien zur Vorbereitung seines Bildbandes “vagabonzi. Straßenhunde in Rumänien “. Neben der Abbildung der Lebenssituation der Straßenhunde führte der Aufenthalt zu einer Serie von Rumänienbildern,von denen zahlreiche in der Ausstellung gezeigt werden. Normalerweise verzichtet Huib Rutten auf Farbigkeit in seinen Bildern. Die farbigen Abzüge in dieser Ausstellung sollen darauf aufmerksam machen, dass zwischen den Aufnahmen von Graetz und Rutten dreißig Jahre liegen.

Die Briefe, die Peter August Böckstiegel 1917/18 aus Targoviste an Hanna Müller, die Schwester des Malers Conrad Felixmüller, schrieb, zeugen von einer glühenden Leidenschaft für die Menschen und die Landschaft, die in den in der Ausstellung gezeigten Bildern deutlich hervorscheint.

(Text: Dr. Barbara Kling, Bilder: Dr. Barbara Kling und Dr. Bernhard Kuhtz)